Stellen Sie sich eine kurvige Strecke vor. Zunächst geht es durch flaches Land, die Kurvenverläufe sind gut einsehbar. Linienwahl und Geschwindigkeit sind problemlos anzupassen. Dann wird es hügelig. Die Straße windet sich um Erhebungen. Einsehbar ist jetzt nur noch der erste Kurvenabschnitt. Wie es zum Kurvenausgang hin weitergeht, ist nicht zu erkennen. Und nun?

„Ich gehe vom Gas und fahre langsamer, denn es könnte ja ein Hindernis auftauchen, oder die Straße plötzlich verunreinigt sein,“ werden mit Ihnen viele Motorradfahrerinnen und -fahrer antworten. So weit, so gut und richtig – doch wird die Vorsichtsmaßnahme in der Praxis nur selten situationsgerecht ausfallen, denn die Meisten werden zwar langsamer, weil sich im verdeckten Teil der Kurve ein Hindernis befinden könnte, sind aber immer noch zu schnell für den Fall, dass dort tatsächlich etwas (Baumstamm, Rollsplitt, langsam fahrende Landmaschine etc.) auftaucht.

Man hat sich für einen in diesem Fall eher unsinnigen Mittelweg entschieden, hat sozusagen ein Risikointegral* gebildet. Eine Art Mittelwert aus der Schwere des möglichen Ereignisses (z.B. Sturz) und der (erfahrungsgemäß eher geringen) Wahrscheinlichkeit seines Eintretens. „Wird schon gut gehen…“. Intuitiv wird das Tempo verlangsamt aber eben nicht so weit reduziert, wie es angemessen wäre. Man zeigt „guten Willen“, handelt letztlich aber inkonsequent aufgrund der Wahrscheinlichkeit eines drohenden Hindernisses. Die eigene Sicherheit (und natürlich auch die anderer) sollte man jedoch nicht auf diese Weise zum Spekulationsobjekt degradieren. Auch und vor allem dann, wenn man sich in einer unklaren Verkehrssituation befindet.

*Der Begriff „Risikointegral“ und seine Beschreibung sind dem Buch „Die obere Hälfte des Motorrads“ von Bernt Spiegel entlehnt.